Die wenigsten Aufgaben lassen sich heute noch alleine erledigen. So gut wie alles findet in Teamarbeit statt oder ist ein Beitrag zu einem größeren Projekt, an dem mehrere Personen beteiligt sind.
Als Führungskraft besteht Deine Aufgabe darin, Einzelpersonen und Einzelaufgaben so zusammenzubringen, dass sie möglichst effektiv und effizient zusammenarbeiten.
Aber was braucht es dafür eigentlich? Was macht Zusammenarbeit effektiv, effizient? Was macht Zusammenarbeit gut?
Warum Zusammenarbeit oft schwierig ist
Eine Coachee berichtete mir vor Kurzem aufgebracht von ihren Mitarbeiter*innen. Sie seien chaotisch, unstrukturiert, würden die Dinge nicht auf die richtige Art und Weise angehen, sich ständig in Nebensächlichkeiten verlieren, sich in Meetings in ineffektiven Streitereien um’s Rechthaben verstricken und das ganze Projekt mit ihrem Machtgerangel ausbremsen. In der Regel ginge es in den Meetings inhaltlich nicht um die für das Unternehmen beste Lösung, sondern ausschließlich um das „sich Behaupten“, Recht haben, sich gegen die anderen durchsetzen, um jeden Preis. Für meine Coachee völlig unverständlich.
Warum ist es oft so schwierig, produktiv zusammenzuarbeiten?
Warum ist es so schwierig, bei der Sache zu bleiben, sich um das konkrete Thema zu kümmern und die persönlichen Befindlichkeiten hinten anzustellen?
Warum braucht es immer dieses Machtgerangel?
Warum ist es so schwierig, an einem Strang zu ziehen?
Das waren ihre Fragen. Und ich kenne diese Fragen gut aus meiner eigenen Zeit als Führungskraft im Unternehmen.
Ich kenne das Gefühl von Zeitverschwendung in einem Meeting mit Kolleg*innen, in dem es darum gehen sollte, eine Lösung für ein akutes Problem zu finden, das dann aber in eine hitzige Diskussion über Verantwortlichkeiten und die Suche nach Schuldigen ausartete und ohne Lösung blieb.
Das Gefühl von völliger Entnervtheit, wenn Kollege X schon wieder seinen Satz mit „Ja, aber….“ begann, sobald man einen Vorschlag einbrachte und der Auftakt zu einer gefühlt endlosen Diskussion oder aber einem Streit mit schlussendlich beleidigtem Kollegen war, wenn die Lösung nicht exakt seiner Vorstellung entsprach.
Schon vor dem Meeting das Gefühl von Ohnmacht, wenn das oberste Management „auf dem Rücken“ meines Sachthemas einen Machtkampf austrug, bei dem es ganz und gar nicht um die beste Lösung für das Unternehmen ging, sondern dieses Thema nur die ideale Plattform war, um dem Vorstandskollegen eine Retourkutsche zu verpassen, weil er beim letzten Mal seinem Projekt auch nicht zugestimmt hatte – egal, ob dieses Projekt für das Unternehmen oder die Mitarbeitenden sinnvoll gewesen wäre.
Jede Führungskraft kennt das. Du sicher auch.
Das Grundproblem dabei:
Wir stecken nun einmal in unserem Wahrnehmungssystem fest, in unserer Erfahrungswelt. Und aus dieser individuellen Erfahrungswelt heraus, glauben wir zu wissen, was in den Köpfen der anderen vorgeht. Wir glauben zu wissen, wie die anderen sind und ticken.
Doch ich kenne und verstehe im Grunde nur mich, mein Gedankensystem, das sich auf Basis meiner individuellen Erfahrungen über meinen Lebensweg hinweg gebildet hat. Das ist mit keinem anderen vergleichbar. Mein System, meine Erfahrungen, meine Bewertungen, meine Schlussfolgerungen und vor allem meine Interpretationen.
Das kann ich zwar alles versuchen, meinen Mitmenschen transparent zu machen und zu erklären, aber dennoch fällt es beim Gegenüber erneut auf ein individuelles System aus Erfahrungen, Bewertungen, Schlussfolgerungen und Interpretationen.
Das heißt, ganz verstehen kann ich den anderen nie wirklich. Und er mich auch nicht. Ich weiß nie genau, wie das, was ich sage, beim anderen ankommt, was es auslöst, ob es auf fruchtbaren oder weniger fruchtbaren Boden trifft. Und umgekehrt.
Es fällt uns (erstaunlich) schwer zu begreifen, dass unsere Mitmenschen andere Erfahrungswerte, andere Fähigkeiten, andere Werte, Motive und Sorgen haben.
Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, dass sie sich in Vielem von uns unterscheiden. Wesentlich unterscheiden. Anders denken, anders fühlen, andere Interessen haben.
Genau deshalb ist Zusammenarbeit oft so schwierig. Weil unterschiedliche Erfahrungswerte, unterschiedliche Werthaltungen, unterschiedliche Motive, unterschiedliche Perspektiven und Blickwinkel aufeinander prallen.
Und jeder Einzelne möchte mit seiner individuellen Sicht der Dinge seine Berechtigung haben dürfen, möchte gehört und geschätzt werden.
Das Verblüffende: Jeder hat das Gefühl, das Beste für das Unternehmen erreichen zu wollen, in der Sache vorankommen zu wollen. Jeder hat das Gefühl, dass die anderen ihn ausbremsen, dass es ihnen nur um’s Rechthaben geht.
Ok, vielleicht nicht wirklich jeder. Aber ich bin mir sicher, wenn ich die Menschen in Deinem Umfeld befragen würde, würden 95 Prozent denken, dass ihre Ideen und Lösungen am besten für das Unternehmen wären. Sonst würden sie sie ja nicht mit solcher Energie und Vehemenz einbringen, oder?
Wie gute Zusammenarbeit funktionieren kann
Wer das oben beschriebene Phänomen kennt – und ich wäre überrascht, wenn Du jetzt den Kopf schüttelst -, der weiß wie anstrengend es werden kann, wenn unterschiedlichste Perspektiven zusammenkommen. Anstrengend. Total. Kräftezehrend, energieraubend.
Kaum etwas im Arbeitsalltag ist so energieraubend wie das Ausdiskutieren von Themen, das Finden von Lösungen in einem Raum voller diverser Perspektiven.
Einfach ist es dann, wenn es um das Finden von Ideen, beim kreativen Generieren von Möglichkeiten. Dann, wenn alles erlaubt ist und das Ergebnis offen.
Aber wehe, wenn es darum geht, auf einen Nenner zu kommen, eine Lösung zu entwickeln, eine einzige, eine Entscheidung gemeinsam zu treffen. Hui, dann wird es kompliziert.
Eine andere Erwartungshaltung kann hilfreich sein.
Was aber, wenn Du Dich von vorne herein auf diese Komplikationen einstellen würdest? Was, wenn Du erwarten würdest, dass in der ersten Diskussionsrunde noch kein konkretes Ergebnis erarbeitet wird, sondern erst einmal die verschiedenen Perspektiven gesammelt werden? Ganz bewusst?
Eine andere Erwartungshaltung kann der erste Schritt hin zu guter Zusammenarbeit sein. Wenn Du es schaffst, Dich aus Deiner gewohnten Haltung (dass Du schon weißt wie die anderen ticken und dass jetzt bitte alle sich an der Lösung orientieren sollen, die Du ersonnen hast und es jetzt schnell, schnell, schnell eine Entscheidung braucht – ist ja auch nicht so schwierig, liegt ja auf der Hand wie das Problem zu lösen ist….), zu lösen, dann ist das schon die halbe Miete.
Denn dann gehst Du sehr viel anders in die Diskussion und es mag Dir gelingen, Ruhe zu bewahren, den verschiedenen Perspektiven Raum zu geben und der Entscheidungsfindung einen anderen Prozess zu Grunde zu legen.
Das Sahnehäubchen: Offenheit und Neugier
Wenn es Dir gelingt dann obendrein gelingt, mit Offenheit und Neugier auf Deine Mitmenschen zuzugehen und zu erkennen,
- welcher Wert in den unterschiedlichen Perspektiven liegt,
- was Dir Dein Gegenüber alles über sich, seine Einstellungen, Haltungen, Werte und Ängste verrät, indem er seinen Blickwinkel kund tut,
- dass jede Auseinandersetzung die Möglichkeit für ein besseres gegenseitiges Verständnis – und damit künftig reibungslosere Zusammenarbeit – birgt,
dann kann „ein Schuh draus werden“, dann hast Du eine Chance, Zusammenarbeit künftig als „gut“ zu erleben.
Lohnend kann es auch sein, vor allem die Auseinandersetzungen zu reflektieren, in denen Deine Emotionen richtig durch die Decke gegangen sind – sei es innerlich oder auch mit dem Ergebnis eines handfesten Streits. Oder die Verhaltensweisen des meist gehassten Kollegen in den Blick zu nehmen. Was tut Dein Gegenüber genau, das Dich immer wieder so aufgeregt? Kennst Du dieses Verhalten auch von Dir? Was brauchst Du, um künftig gelassener damit umgehen zu können?
Und was braucht es noch?
Energie und Gelassenheit.
Ja genau. Energie. Denn Erwartungshaltung hin oder her, die Auseinandersetzung mit anderen bleibt kräftezehrend. Und wenn wir zu ungeduldig sind, keine Energie haben, um die verschiedenen Perspektiven auszuhalten, zu schätzen und neugierig zu betrachten, dann sind wir ganz schnell wieder im alten Strudel.
Eine gesunde Portion Gelassenheit wäre darüber hinaus sehr hilfreich.
Gelassenheit gegenüber dem Kollegen, der seinen Satz schon wieder mit „Ja, aber…“ beginnt. Gegenüber dem Vorstand, der Dein Thema zerpflückt, weil er gerade auf anderer Ebene Streit mit seinen Kolleg*innen oder Deinem Chef hat, gegenüber der Tatsache, dass alles länger dauert als gedacht und die gewünschte Lösung nicht so schnell auf dem Tisch liegt wie erhofft.
Gelassenheit gegenüber der Tatsache, dass nicht alle so sind wie Du. Sondern völlig anders. Dass Du eben nicht weißt, was wirklich in ihren Köpfen und ihren Herzen vorgeht, was sie im Innersten antreibt, woran sie Freude haben und was sie ängstigt oder welche Erfahrungen ihr Leben geprägt haben.
Da hilft nur ein Sack voll Neugier, Gelassenheit, Wertschätzung und Respekt.
Immer wieder.
Jeden Tag.
Wenn das so einfach wäre…. Aber es geht! Nicht jeden Tag. Aber immer wieder und immer öfter. Schritt für Schritt.
Ein schönes Projekt für die nächsten 4 Wochen: Bewusst mit einer anderen Haltung, mit Neugier und Offenheit, in EIN Meeting pro Woche gehen und schauen was passiert.