Was für neue virtuelle Teams wirklich wichtig ist und wie Du als Führungskraft eine gesteigerte Produktivität bei Deinem Team erreichen kannst
Von jetzt auf gleich sitzen wir alle zu Hause und versuchen zwischen Ess-, Wohn- und Schlafzimmer, zwischen tobenden Kindern und lautstark telefonierenden Partnern eine produktive Arbeitsatmosphäre entstehen zu lassen. Glück hat, wer zumindest ein separates Arbeitszimmer sein Eigen nennen und es für sich beanspruchen kann. Und überhaupt am allerglücklichsten ist der, der schon vor der Corona-Pandemie regelmäßig im Home-Office mit den nötigen technischen Tools für die virtuelle Zusammenarbeit gearbeitet hat. Denn dann ist zumindest die technische Hürde schon einmal genommen.
Häufig mangelt es an effektiver Unterstützung durch Vorgesetzte und von Seiten des Unternehmens
Die Technik ist aber eigentlich das geringste Problem. Das zeigte eine Umfrage, die meine Alma Mater, die international renommierte Business School INSEAD[i], im März zum Thema „Wie gut funktioniert eigentlich die Umstellung auf virtuelle Zusammenarbeit, in die uns die Corona-Pandemie gezwungen hat?“ durchgeführt hat. Statt an der Technik (80 % der Umfrageteilnehmer fühlen sich technisch im Home-Office gut aufgestellt) mangelt es deutlich häufiger an effektiver Unterstützung von Seiten der Führungskräfte (bei 50 % der Befragten) und Organisationen (bei 37 % der Befragten), so das Ergebnis der Umfrage[ii].
Was braucht es von Seiten der Führungskräfte und Unternehmen, damit neu geschaffene, virtuelle Teams schnell und effizient produktiv werden können?
Lies im Folgenden die Details zur Studie oder gehe direkt zur Management Summary und den Tipps für produktive virtuelle Teams.
Schauen wir uns zunächst die Vor- und Nachteile virtueller Zusammenarbeit im Vergleich zum face-to-face Arbeitsalltag an.
Allgemeine Vor- und Nachteile virtueller Zusammenarbeit
Vor- oder Nachteil? In Video-Konferenzen hat die Mehrheitsmeinung weniger Gewicht.
Auch wenn sich die Qualität von Videokonferenzen in den letzten Jahren stark verbessert hat, ist es doch immer noch so, dass sowohl körpersprachliche wie auch mimische Ausdrücke per Video weniger gut wahrgenommen werden können. Es fehlt also ein wichtiger Teil der Kommunikation, der für uns Menschen essentiell ist, um das Gesagte unseres Gegenübers richtig zu interpretieren und in das gegebene soziale Gefüge einordnen zu können.
Interessant ist aber, dass durch die reduzierten nonverbalen/sozialen Signale TeilnehmerInnen eines virtuellen Meetings deutlich weniger dazu neigen, sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen.
Das ist sicher dann von Vorteil, wenn es darum geht, das bestmögliche Ergebnis unter Einbeziehung möglichst vieler Perspektiven und Meinungen zu erarbeiten und eher nachteilig, wenn Konflikte beigelegt und Kompromisse gefunden werden müssen.
Nachteil: Weniger informeller Austausch
Bei virtuellen Teams gibt es keine zufälligen Begegnungen, keinen sich zufällig ergebenden Austausch zwischen Tür und Angel. Im face-to-face Arbeitsalltag werden gerade hierbei häufig wichtige Informationen auf dem kleinen Dienstweg weitergegeben.
Es ist daher wichtig, virtuellen Teams möglichst unkomplizierte Möglichkeiten zum schnellen, auch informellen Informationsaustausch zu geben (etwa durch einen Chat) und auch informelle Meetings ohne Agenda auf den Terminplan zu setzen.
Nachteil: Weniger Vertrauen und schlechtere Teamkoordination
Außerdem haben Studien gezeigt, dass sich virtuelle Zusammenarbeit negativ auf das Vertrauen im Team und die Koordination innerhalb eines Teams auswirkt.Die gute Nachricht: Je länger ein virtuelles Team zusammenarbeitet, desto mehr gelingt es, die genannten Nachteile zu überwinden, und umso effizienter wird die Zusammenarbeit. Durch regelmäßige Kommunikation und auch informellen Austausch, kann dies gerade zu Beginn unterstützt werden.
Klare Vorteile: Höhere Flexibilität, Produktivität und Work-Life-Balance
Klare Vorteile virtueller Zusammenarbeit sind:
- eine deutlich höhere Flexibilität der Arbeit (work anytime from anywhere)
- eine häufige Produktivitätssteigerung im Home-Office
- eine häufig bessere Work-Life-Balance im Home-Office
Gesteigerte Produktivität im Home-Office
Das Thema „gesteigerte Produktivität“ können wir auf Basis der Umfrageergebnisse etwas differenzierter betrachten:
- Die Produktivität ist bei 40 % der Befragten im Home-Office gestiegen, 37 % bemerken keinen Unterschied, bei 23 % ist die Produktivität eher gesunken.
- Die Ergebnisse lassen den (vorsichtigen) Schluss zu, dass vor allem das mittlere und obere Management Produktivitätssteigerungen erlebt.
- Produktivitätssteigernd wirken: Vorerfahrung mit virtueller Zusammenarbeit und eine (gefühlt) bessere Work-Life-Balance (z.B. weil das Pendeln zur Arbeit entfällt; das gilt aber eben nur, wenn zu Hause die nötigen Bedingungen für produktives Arbeiten vorhanden sind, wie z.B. ein separater Arbeitsplatz).
- Negativ wirken sich auf die Produktivität aus: fehlende soziale Interaktionen und die zu Hause vorhandenen Ablenkungen.
- Branche, Größe des Unternehmens, die Art der Arbeit oder das Alter der Befragten haben dagegen keinen Einfluss auf die Produktivität.
Tools, die eine asynchrone Zusammenarbeit ermöglichen, können die Flexibilität und Produktivität weiter steigern!
Im Rahmen der Studie wurde außerdem abgefragt, welche Tools vorwiegend für die virtuelle Zusammenarbeit genutzt werden. Dies sind vor allem (häufigste zuerst):
- Text-Chat und E-Mail
- Videokonferenzen
- Gemeinsam genutzte Dateien bzw. Co-autoring Tools
- Telefon (wobei Senior Manager das Telefon eher häufiger nutzen)
Dass bei virtueller Zusammenarbeit vor allem auf Kommunikationsmittel zurückgegriffen wird, die eine synchrone Zusammenarbeit ermöglichen (Chat, Videokonferenzen), asynchrone Tools (wie Co-authoring Tools) dagegen eher vernachlässigt werden, ist ein typisches Studien-Ergebnis.
Asynchrone Tools erleichtern jedoch die virtuelle Zusammenarbeit, weil sie die Flexibilität jedes Einzelnen erhöhen: Jeder kann dann zu der Zeit seinen Teil der Arbeit erledigen, wann es ihm gut möglich ist, die Interdependenz sinkt und das erleichtert auch die Koordination innerhalb des Teams.
Eine höhere Flexibilität ist vor allem in Zeiten eines Lockdowns hilfreich, wenn zu Hause die Kinderbetreuung unter zwei arbeitenden Erwachsenen und damit die Arbeitszeit während des Tags aufgeteilt werden muss.
Führungskräfte sollten dies bedenken und prüfen, inwieweit asynchrone Tools in ihrem Bereich zum Einsatz kommen können. Vor allem wenn eine Zusammenarbeit remote nun eher die Regel als die Ausnahme wird, können mit solchen Tools Produktivitätssteigerungen erreicht werden.
Gleichzeitig ist eine kontinuierliche Kommunikation wichtig
Nichtsdestotrotz ist es sehr wichtig, kontinuierlich den Kontakt zu allen Teammitgliedern zu halten, sodass der fehlende soziale Kontakt (s.o.) ausgeglichen wird, aber vor allem auch, um alle Teammitglieder engagiert und verantwortlich zu halten.
Jeder Einzelne steht vor individuellen Herausforderungen im Home-Office. Während der eine nicht weiß, wie er die Kinder parallel zu seiner Arbeit betreuen oder Kundengespräche ohne Störungen führen soll, fühlt sich der andere zu Hause isoliert und einsam.
Je besser es Führungskräften gelingt, auf die individuellen Themen einzugehen und individuelle Lösungen zu finden, umso schneller und effektiver wird ein Team zu einer produktiven, virtuellen Zusammenarbeit finden.
[i] Phanish Puranam, Roland Berger Chaired Professor of Strategy and Organisation Design at INSEAD, & Marco Minervini, INSEAD post-doctoral fellow, „What Newly Remote Teams Need, Right Now”, online verfügbar unter: https://knowledge.insead.edu/node/13706/pdf, zuletzt aufgerufen am 15.4.2020
[ii] Die Ergebnisse der Umfrage sind mit 429 Teilnehmern (aus 58 Ländern, vorwiegend Manager und Wissensarbeiter aus mittelständischen und großen Unternehmen) zwar nicht repräsentativ, zeigen aber Tendenzen auf und geben Hinweise, was es – gerade für Führungskräfte und Organisationen – zu tun gilt, damit neu geschaffene, virtuelle Teams schnell und effizient produktiv werden können.
Management Summary
Eine Umfrage, die INSEAD im März durchgeführt hat, kam zu folgenden Ergebnissen:
- Die technische Unterstützung im Home-Office funktioniert gut (bei 80 %)
- Es mangelt eher an effektiver Unterstützung durch Führungskräfte (bei 50 %) und die Organisation (bei 37 %).
- Die Produktivität ist im Home-Office meist höher (bei 40 %) oder gleich (bei 37 %).
- Die Produktivität hängt dabei von einigen Faktoren ab:
- Vorerfahrung: Wenn ein Mitarbeiter schon aus dem Home-Office bzw. virtuell gearbeitet hat, wird er schneller produktiv (etwa weil er die nötigen Rahmenbedingungen und Prozesse zu Hause schon etabliert hat und auch technisch alles einwandfrei läuft).
- Work-Life-Balance: Diejenigen, die im Home-Office eine gesteigerte Work-Life-Balance für sich erleben (z.B. weil sie nicht mehr pendeln müssen oder flexibler arbeiten können), sind produktiver.
- Soziale Interaktionen: Fehlender sozialer Kontakt wirkt sich negativ auf die Produktivität aus und sollte durch entsprechende kontinuierliche und auch informelle Kommunikation ausgeglichen werden.
- Ablenkungen zu Hause: Je nach Rahmenbedingungen zu Hause müssen ggf. individuelle Lösungen gefunden werden (z.B. mit Blick auf die Arbeitszeiten), damit die zu Hause vorhandenen Ablenkungen sich nicht negativ auf die Produktivität auswirken.
- Tools: Häufig werden Tools genutzt, die eine synchrone virtuelle Zusammenarbeit unterstützen (Chat, Videokonferenzen, Telefon); eine flexiblere und damit häufig auch produktivere Zusammenarbeit wird jedoch durch asynchrone Tools für die Zusammenarbeit, wie Co-authoring Tools oder Filesharing, besser unterstützt.
- Kommunikation: Kontinuierlich in Kontakt zu bleiben und alle Teammitglieder engagiert und verantwortlich zu halten, ist essentiell für effektive virtuelle Zusammenarbeit. Führungskräfte sollten sich darin üben, sich auch schriftlich möglichst präzise und verbindlich auszudrücken.
Was heißt das nun alles für Dich als Führungskraft?
Was kannst Du tun, damit Dein Team möglichst produktiv virtuell zusammenarbeiten kann?
- Pass die Arbeitsprozesse an: Wenn es Dir gelingt, die Arbeitsprozesse so anzupassen, dass die einzelnen Teammitglieder unabhängiger voneinander arbeiten können bzw. mehr asynchrone Zusammenarbeit möglich wird, kannst Du deutlich die Flexibilität Deiner Teammitglieder erhöhen und so positiv auf die Produktivität wirken. Das ist gerade während einer Ausgangssperre hilfreich, wenn Viele zu Hause Kinder betreuen müssen und/oder während des Tages nicht durchgängig ein ruhiges, konzentrationsförderndes Arbeitsumfeld haben. Aber auch unabhängig davon, arbeiten virtuelle Teams häufig produktiver, wenn die Arbeitsprozesse unabhängiger voneinander gestaltet werden.
- Fördere soziale Kontakte: Auch wenn es sich am Anfang komisch anfühlt, solltest Du dafür sorgen, dass Ihr Euch alle regelmäßig online ohne spezielle Agenda austauscht (z.B. online gemeinsam einen Kaffee trinken oder denjenigen mit dem besten Outfit oder Hintergrund zu einem Thema küren)! Es geht um den sozialen Kontakt, darum, die fehlende soziale Interaktion auszugleichen und so auch die mentale Gesundheit der Teammitglieder zu fördern.
- Sprich regelmäßig mit Deinen Mitarbeitern: Bleib an jedem Einzelnen kontinuierlich dran, halte den Kontakt. Nur wenn Du weißt, wie es Deinen MitarbeiterInnen (auch emotional) geht, und Du für entsprechende Lösungen sorgst, kann effektive Arbeit im Home-Office entstehen und Du erhöhst das persönliche Engagement Deiner MitarbeiterInnen. Auch ist es bei virtueller Zusammenarbeit noch wichtiger, dass alle im Team zu jeder Zeit genau wissen, was zu tun ist, worauf die Priorität liegt und wer wofür verantwortlich ist. Das erreichst Du nur durch sehr regelmäßigen Austausch.
- Versuche individuelle Lösungen zu finden: Jeder Deiner Mitarbeiter wird zu Hause individuelle Herausforderungen zu lösen haben. Versuche hier zu unterstützen und individuelle Lösungen zuzulassen.
- Setze Grenzen und respektiere sie: Grenzen zu setzen ist bei länger andauerndem Home-Office besonders wichtig. Grenzen für Dich, aber auch für Dein Team. Home-Office darf nicht bedeuten, dass man 24 Stunden erreichbar sein muss. Es muss klare „Auszeiten“ geben und für Deine Mitarbeiter muss klar sein, dass Du nicht von ihnen erwartest, dass sie während der Auszeiten Anrufe, E-Mails oder dergleichen beantworten.
- Nutz die Chance und entwickle Deine eigenen Fähigkeiten weiter:
- Virtuelle und gerade auch asynchrone Zusammenarbeit erfordert sehr gute schriftliche Kommunikationsfähigkeiten; übe Dich darin, dich auch schriftlich möglichst präzise und unmissverständlich auszudrücken.
- Entwickle Deine Führungsfähigkeiten weiter: Virtuelle Teams und vor allem Krisensituationen erfordern es, dass Du andere Führungsqualitäten an den Tag legst (siehe hierzu meinen Blog-Post „Führen in einer Krisensituation… Was dein Team jetzt von Dir als Führungskraft braucht“).
Wie hat sich Dein Führungsalltag verändert?
Welche Best Practices in der virtuellen Zusammenarbeit funktionieren für Dich am besten?
Wie hat sich Dein Führungsalltag verändert? Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Wie ist Dein Team in die virtuelle Zusammenarbeit gestartet und welchen Herausforderungen seht Ihr Euch gegenüber? Wie löst Ihr Eure Herausforderungen? Was funktioniert für Euch besonders gut? Ich freue mich auf Deine Best Practices und Kommentare!